Ein aktuelles Urteil beschäftigt sich mit unerlaubter Werbung über Direktnachrichten über einen Online-Marktplatz. Das ist aus zwei Gründen relevant: Erstens bestätigt es, dass „Spam“ nicht auf klassische E-Mails beschränkt ist, sondern auch über Plattform-Messenger vorliegen kann. Zweitens stärkt es die Beauftragtenhaftung: Werbetreibende haften wettbewerbsrechtlich auch für Handlungen freier Mitarbeiter, wenn diese im Geschäftskreis des Unternehmens agieren (LG Stuttgart vom 5.6.2025, Az. 33 O 10/25 KfH). Diese Linien stehen im Einklang mit der technikneutralen Auslegung des § 7 UWG und der gefestigten Rechtsprechung zu § 8 Abs. 2 UWG.
Sachverhalt
Ein Privatverkäufer stellte auf „Kleinanzeigen.de“ eine Wohnung zum Verkauf ein und wies ausdrücklich darauf hin, dass Makleranfragen unerwünscht sind. Dennoch erhielt er zwei Tage später über das interne Nachrichtensystem der Plattform eine Mitteilung von einem freien Mitarbeiter einer Immobilienmaklerin. In dieser Nachricht wurde ein potenzieller Käufer genannt, eine Provision in Aussicht gestellt und um Rückmeldung gebeten.
Die Nachricht lautete:
„Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt ein Interessenten von uns mit einer Finanzierungsbestätigung der Interesse an Ihre Wohnung hat. Bei einen erfolgreichen Abschluss würde die Provision bei 3,57 % liegen (im Alleinauftrag nur 3 % Laufzeit 1 Monat). Im Umkreis haben wir schon einige Objekte verkauft siehe unsere Referenzen, hierzu kam es zum Kontakt mit unseren Klienten. Bei Interesse würde ich mich über einen Rückruf freuen.“
Kernfragen waren damit:
- Fällt der Plattform-Messenger unter „elektronische Post“ i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG?
- Greift die Beauftragtenhaftung des § 8 Abs. 2 UWG auch bei freien Mitarbeitern, ggf. ohne Wissen des Unternehmers?
„Elektronische Post“ umfasst Plattform-Messenger
Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung stets eine unzumutbare Belästigung. Der Begriff „elektronische Post“ wird technikneutral und weit verstanden, um den Schutz der Privatsphäre in dynamischen Kommunikationsumgebungen zu gewährleisten. Die Rechtsprechung ordnet darunter neben E-Mails ausdrücklich Nachrichten über Social-Media-Dienste wie Xing, Facebook, LinkedIn oder WhatsApp; funktional gleichzustellen sind Postfach-Nachrichten in spezialisierten Portalen (z. B. Immobilien- oder Kleinanzeigenportale), da sie asynchron in ein privat zugängliches Postfach des Nutzers zugestellt werden.
Die Konsequenz: Werbliche Privatnachrichten über einen Kleinanzeigen-Messenger sind „elektronische Post“ i. S. d. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG und bedürfen einer vorherigen ausdrücklichen Einwilligung. Das OLG München hat dies für E-Mail-Werbung in ständiger Linie bestätigt und klargestellt, dass das Fehlen bzw. der Widerruf der Einwilligung den Verstoß trägt; ein einzelner Versand genügt für den Unterlassungsanspruch.
Wichtig ist auch die Adressatenperspektive: Adressat ist der Nutzer des Portals in seinem privaten Bereich; die Tatsache, dass die Nachricht über Server des Portals zugestellt wird, ist unerheblich. Zudem lässt eine Anzeige mit Kontaktmöglichkeit (z. B. Telefonnummer, Messenger) keine Einwilligung für werbliche Ansprache erkennen; sie deckt allenfalls Kommunikationszwecke, die unmittelbar mit dem Inserat (Kauf-/Verkaufsinteresse) zusammenhängen.
Beauftragtenhaftung des Werbetreibenden
Wettbewerbswidrige Handlungen sind dem Unternehmensinhaber nach § 8 Abs. 2 UWG zuzurechnen, wenn sie von Mitarbeitern oder Beauftragten im Geschäftskreis vorgenommen werden. Nach gefestigter Rechtsprechung reicht es aus, dass das Verhalten dem Unternehmenszweck dienen soll; Wissens- oder Weisungsverstöße des Mitarbeiters schließen die Zurechnung nicht aus. Keine Zurechnung erfolgt lediglich bei rein privaten Handlungen außerhalb des Unternehmensbereichs. Das OLG München hat einst für unzulässige E-Mail-Werbung ausdrücklich klargestellt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Beklagte selbst oder ein Beauftragter versandt hat – § 8 Abs. 2 UWG trägt die Zurechnung.
Für freie Mitarbeiter gilt: Sie sind regelmäßig „Beauftragte“ i. S. d. § 8 Abs. 2 UWG, wenn sie im Geschäftsbereich tätig werden und Handlungen vornehmen, die dem Unternehmer zugutekommen sollen. Grenzen bestehen dort, wo die Handlung rein privat ist oder außerhalb des beherrschbaren Geschäftsbereichs liegt.
Einordnung: Weite Auslegung schützt die Privatheit und schafft klare Compliance-Linien
Das Urteil fügt sich nahtlos in die technologieoffene Auslegung von § 7 UWG und Art. 13 ePrivacy-Richtlinie ein. Die Privatsphäre des Nutzers wird plattformübergreifend geschützt, unabhängig davon, ob der Kanal „klassische E-Mail“ oder „Portal-Messenger“ ist. Für die Praxis bedeutet das:
- Kleinanzeigen-Messenger sind rechtlich keine „Grauzone“: Werbliche Direktansprachen sind ohne Opt-in unzulässig.
- Die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 3 UWG greift in typischen Kleinanzeigen-Situationen nicht, weil es an der bestehenden Kundenbeziehung und an „ähnlichen Waren/Dienstleistungen“ im Rahmen eines fortlaufenden Geschäfts fehlt.
- Unternehmen müssen Beauftragte (auch freie Mitarbeiter) in die Kommunikations-Compliance einbinden; Verstöße werden zugerechnet, sobald sie dem Geschäftskreis dienen.
Praxishinweise
- Einwilligungserfordernis:
- Werbliche Ansprache über Plattform-Messenger setzt eine ausdrückliche Einwilligung voraus.
- „Kontaktaufnahme wegen Inserat“ ist keine generelle Einwilligung für Werbung; nur zweckgebundene Kommunikation (z. B. konkretes Kaufinteresse) ist gedeckt.
- Ausnahme nach § 7 Abs. 3 UWG:
- Denkbar, ist dass die Ausnahme vom Einwilligungserfordernis vorliegt. Dafür muss aber eine bestehende Kundenbeziehung vorliegen und die Werbung „eigene ähnliche Waren/Dienstleistungen“ betreffen. Eine Widerspruchsmöglichkeit muss schon bei Erhebung der Kontaktinformationen transparent kommuniziert werden.
- In Kleinanzeigen-Konstellationen ist diese Ausnahme meist nicht einschlägig.
- Beauftragtenhaftung organisatorisch beherrschen:
- Freie Mitarbeiter müssen vertraglich strikt auf UWG- und Datenschutz-Compliance verpflichtet werden. Es sollten klare Weisungen, Schulungen und Kontrollmechanismen etabliert werden.
- Es ist empfehlenswert, Verantwortlichkeiten genau zu dokumentieren und auch freie Mitarbeiter technisch einzubinden. Versandkanäle sollten zentral gesteuert und freigegeben werden. Ein einzelner Verstoß kann Unterlassungsansprüche auslösen.
- Kanal- und Inhaltsspezifik:
- Plattform-Messenges sind rechtlich wie E-Mails zu behandeln. Es bedarf eines Opt-in und eine Abmeldemöglichkeit. Der Absender mus identifizierbar sein.
- Es bedarf einer gültigen Rückadresse zur Abbestellung.
Fazit
Das LG Stuttgart reiht sich in eine klare, technologieneutrale Linie ein: Werbliche Privatnachrichten über Kleinanzeigen- oder Portal-Messenger sind „elektronische Post“ und ohne Einwilligung unzulässig. Unternehmen haften für Verstöße ihrer freien Mitarbeiter als Beauftragte, sofern sie im Geschäftskreis handeln. Für die Praxis bedeutet das strengere Compliance im Plattform-Messaging und eine konsequente Einbindung externer Akteure in die wettbewerbsrechtliche Steuerung.