Warum Live-Content interessanter ist

Der große Vorteil digitaler Inhalte ist, dass es keine Druckkosten gibt und Informationen mit minimalen Kosten millionenfach verbreitet werden können. Inzwischen ersticken wir jedoch in der Content-Flut und das Gegenteil weckt Interesse: Die Verknappung. Davon profitieren Live-Inhalte.

Bevor es das Internet gab, war Wissen überwiegend in gedruckter Form verfügbar und damit begrenzt. Online kann Wissen ohne Mehrkosten beliebig oft reproduziert werden. Zunächst gab es daher sehr viel Trash-Content, der aber inzwischen über Algorithmen ganz gut weggefiltert wird. Wer heute Informationen googelt, erhält nur wirklich gute Inhalte ganz oben angezeigt. Qualitätscontent finanziert sich über Werbung oder Leadgenerierung. Inzwischen funktioniert auch Bezahlcontent – immer jedoch im harten Wettbewerb mit Angeboten, die sich über Datengenerierung finanzieren.

 

Snapchat macht Bilder vergänglich
Die Allgegenwärtigkeit interessanter Inhalte hat zu einer schleichenden Gegenentwicklung geführt: Das Vergängliche wird plötzlich begeht: Snapchat war das erste Unternehmen, das daraus ein Geschäftsmodell gemacht hat: Bilder werden nur kurz angezeigt und dann gleich wieder gelöscht. Facebook und damit auch Instagram haben das Konzept mit der Story-Funktion schnell kopiert.

 

Live-Streaming wird zum Volkssport
Twitch hat mit dem Live-Streaming begonnen, indem Videospiele live übertragen wurden. Periscope hat Live-Streaming genutzt und ist später in Twitter aufgegangen. YouTube startete bereits seit 2009 Liveübertragungen von wichtigen Events. 2013 wurde der Dienst für alle freigeschaltet. Instagram geht weiter: Bald können User Gäste in ihren Live Stream einladen. Bis zu vier Personen können in den sogenannten Live Groups gleichzeitig streamen und miteinander reden.

 

Clubhouse reduziert auf die Stimme
Die neueste Form des Live-Internet ist die Audio-App Clubhouse. Hier findet die Reduktion multimedialer Möglichkeiten Ihren Höhepunkt: Keinerlei Aufzeichnung und keinerlei Bewegtbild. Statt perfekt ausgeleuchteter Videoaufnahmen gibt es nur die Tonspur. Und der Höhepunkt: All die wichtigen Dinge, die hier in unzähligen Diskussionen gesagt werden, sind Schall und Rauch, weil das Mitschneiden streng untersagt ist. Die Debattenkultur erlebt ein Revival. Information in seiner ursprünglichen Form: Ein Mensch erzählt und die Mitmenschen lauschen in höchster Konzentration. Wer nicht dabei war hat es verpasst: Mit FOMO (fear of missing out) wird die Angst etwas zu verpassen, zur treibenden Kraft.

 

Unternehmen schaffen Erlebnisse
Content Marketing und Customer Experience gehen eine neue Allianz ein: Unternehmen machen sich Gedanken, wie sie einmalige Erlebnisse schaffen können. Bis zur Pandemie boomten Unternehmen wie Europapark Rust, Therme Erding und Jochen Schweizer. Legoland, Bavaria Filmstadt oder Sea-Life locken Menschen mit Erlebnissen. Im B2B gibt es seit langem schon aufwändig inszenierte Kundenevents. Zunehmend werden Messeauftritte reduziert und durch eigene Veranstaltungen ersetzt. Wichtig bei allen inszenierten Erlebnissen: Es sollte etwas geben, was ich stolz meinen Freunden erzähle, die das leider nicht erleben durften. WOM (word of mouth) lässt die Werbebotschaft viral werden.

 

Corona beschleunigt die Digitalisierung
Pandemie und Lockdown zwingen Unternehmen, neue Formen des Kundenkontakts auszuprobieren. Webinar, Zoom und Teams müssen das kompensieren, was vorher das persönliche Zusammentreffen war. Webcasts und digitale Kundenevents ersetzen die physische Zusammenkunft beim Kundentag.

 

Authentizität ist gefragt
Inzwischen wir alles gefälscht: News, Fotos, Videos, Snapchat-Posts, Instagram-Posts und Unternehmensprofile. Auf Telegram wurde jüngst ein Deepfake-Ökosystem entdeckt. Geschichten werden nicht mehr von Autoren sondern von der KI geschrieben. Umso mehr wendet sich die Aufmerksamkeit Angeboten zu, die garantiert vertrauenswürdig sind. Das sind Live-Aufnahmen – egal ob per Video oder Audio. Plattformen bewerten in ihrem Algorithmus Inhalte besser, die direkt von der Kameraschnittstelle des Handys stammen.

 

Live-Videos boomen
300 Millionen Chinesen nutzen das Live-Web zum Einkaufen. Mehr als 400.000 Händler sind mit Live-Videos online. Der Markt wird auf 160 Milliarden Euro geschätzt. In der Schweiz ist der Blumenmann aktiv, in Vechta eine Buchhandlung, in Düsseldorf eine Kochschule und in Waghäusel ein Restaurant. Aber auch größere Unternehmen wie Flaconi steigen ins Live-Shopping ein.

Der Musiker Todd Rundgren setzt bewusst auf Verknappung: Seine Gruppe gibt virtuelle Live-Konzerte, die durch Geofencing nur für Fans aus den geplanten Städten zugänglich sind. Dazu gibt es Poster von regionalen Sportteams, lokales Essen und virtuelle Meet and Greets mit lokalen Fans, um den Erlebnis-Charakter zu verstärken. Bei Twitch waren kürzlich 2,5 Millionen Zuschauer gleichzeitig in einem Stream.

 

Gamification einsetzen
Aviron, ein Anbieter von Rudergeräten hat diese mit Gaming-Funktionen ausgestattet. Wer rudert, kämpft gleichzeitig mit anderen gegen Zombies. Pokemon bietet bald Pokéstops für Unternehmen an. Sprint, McDonald’s und AT&T sind dabei. H&M bietet Erlebnisse, indem Kleidungsstücke virtuell am eigenen Körper anprobiert werden können. Die Bodyscanner dazu stehen bald in jeder Filiale.

 

Bald kommen virtuelle Erlebnisse
Augmented Reality, die Verschmelzung von echter und virtueller Welt, birgt enormes Potenzial. Apple setzt seit langem schon auf AR-Brillen. Selbst Bosch und Lenovo tüfteln schon an Datenbrillen. Die US-Armee ist inzwischen schon so weit, dass sie nicht nur Ihre Soldaten, sondern auch die Spürhunde mit AR-Brillen ausrüstet. Vuzix hat es geschafft, Mikro-LEDs in eine Brille einzubauen. Mojo arbeitet schon lange an einer Kontaktlinse und hat jetzt auch einen Hersteller dafür gefunden.

So führt wohl alles darauf hinaus, dass sich neben der echten Welt live noch weitere „echte“ Inhalte in unsere Wahrnehmung drängen. Die Aufmerksamkeits-Ökonomie schreitet weiter voran.

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