Wechsel der Inhaberschaft von E-Mail-Adressen: Damoklesschwert für jeden Verteiler?

„Hallo! Ich möchte Ihre Werbemails nicht bekommen. Ich habe mich nie bei Ihnen eingetragen. Nehmen Sie mich umgehend aus dem Verteiler“. E-Mails dieser Art hat wohl jeder schon gesehen, der einen größeren Adress-Verteiler besitzt und regelmäßig Werbung per E-Mail versendet. In manchen Fällen stellt sich heraus, dass das Double Opt-in zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, in dem Frau Müller noch gar nicht Inhaber der E-Mail-Adresse war. Muss der Versender in einem solchen Fall eine Unterlassungserklärung abgeben? Von Dr. Martin Schirmbacher, HÄRTING Rechtsanwälte, www.haerting.de

Häufig kann sich Frau Müller schlicht nicht erinnern, dass er in den Erhalt des Newsletters eingewilligt und sogar ein Double Opt-in durchlaufen hat. Solche Fälle lassen sich in der Regel schnell aus der Welt schaffen.

Ich war das nicht! Da können Sie behaupten, was Sie wollen.

Ab und an bleibt der Adressinhaber aber bei seiner Version und behauptet weiter, sich nie eingetragen zu haben. Frau Müller genügt dann manchmal auch die ausdrückliche Bestätigung des werbenden Unternehmens nicht, dass seine E-Mail-Adresse auf einer Blacklist liege und er keine E-Mails mehr erhalten werde. Weil Frau Müller die Einlassungen des Unternehmens für eine billige Ausrede hält, liegt die Sache inzwischen bei einem Anwalt. Erst nach der Abmahnung stellt sich nun heraus, dass das Double Opt-in zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, in dem Frau Müller noch gar nicht Inhaber der E-Mail-Adresse war.

Alte Einwilligung neuer Inhaber der Adresse

Ein solches Szenario kommt häufiger vor als man denkt. Die Gründe, warum die Inhaberschaft an E-Mail-Adressen wechseln kann, sind vielfältig. Der häufigste Fall ist ein Wechsel der Domain. Hat der neue Domain-Inhaber ein Catch-All auf alle E-Mail-Adressen eingestellt, erhält er alle E-Mails, die an die erworbene Domain gerichtet sind. Aber auch die Aufgabe einer E-Mail-Adresse und anschließende Neuregistrierung durch einen anderen kommen in der Praxis durchaus vor.

Versender darf auf Einwilligung vertrauen

Muss der Versender in einem solchen Fall eine Unterlassungserklärung abgeben? Würde er eine Klage verlieren? Bekanntlich geht die Rechtsprechung mit den Werbenden nicht gerade zimperlich um. Die Sympathien der Gerichte liegen meist eher auf Seiten der Empfänger. Und schaut man ins Gesetz heißt es, dass die Werbung per E-Mail nur zulässig ist, wenn der Adressat zuvor ausdrücklich eingewilligt hat. Hat die E-Mail-Adresse zwischen Erteilung der Einwilligung und dem Erhalt der Newsletters aber gewechselt, hat gerade nicht der Empfänger eingewilligt. Ist die E-Mail damit rechtswidrig? Ist damit jeder Verteiler potenziell dem Untergang geweiht, weil sich ein Wechsel von E-Mail-Adressen nie ausschließen lässt?

OLG Hamm: Keine Wiederholungsgefahr!

Nein. Das Oberlandesgericht Hamm hat einen vergleichbaren Fall zu Gunsten des Werbenden entschieden und dabei viel Verständnis für die Situation erkennen lassen (OLG Hamm vom 9.12.2014, Az. 9 U 73/14). Das Gericht sieht in einer solchen Konstellation auch ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung keine Wiederholungsgefahr. Lag für eine E-Mail-Adresse zunächst eine Einwilligung vor und ist für den Versender ein Wechsel der Inhaberschaft nicht erkennbar, bestehe kein Unterlassungsanspruch. Der Versender dürfe grundsätzlich davon ausgehen, dass die versendete E-Mail weiterhin den einwilligenden ursprünglichen Inhaber der E-Mail-Adresse erreicht.

Für diese besondere Konstellation haben die Richter sogar folgenden denkwürdigen Satz in das Urteil geschrieben: „Die Klägerin hätte auch schlicht von der Möglichkeit Gebrauch machen können, durch einen Tastendruck den Newsletter abzubestellen.“ Dies gilt in Fällen der unerbetenen Werbung per E-Mail zwar fast immer, lässt sich aber nicht verallgemeinern. Das Gericht meinte, es sei der Klägerin hier zumutbar, den Versender darauf hinzuweisen, dass sie nunmehr die Nutzungsberechtigte der Domain war, aber keine Einwilligung erteilt habe.

Adressat ungleich Empfänger?

Das Gericht hat bei der Wiederholungsgefahr angesetzt und in dieser besonderen Situation angenommen, dass die Gefahr einer neuerlichen Begehung nicht bestehe. Womöglich wäre dieses Ergebnis aber auch einfacher erreichbar gewesen: Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine unzumutbare Belästigung bei einer Werbung per E-Mail anzunehmen, wenn keine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt. Offenbar soll es auf den Adressaten, nicht den Empfänger ankommen. Adressiert ist die E-Mail an denjenigen, der die Einwilligung erteilt hat. Der Werbende geht davon aus, dass Adressat (und damit Einwilligender) und Empfänger identisch sind. Dass die Werbung bei einem anderen angekommen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Zwar war Gegenstand des Verfahrens vor den Hammer Richtern keine wettbewerbsrechtliche Streitigkeit, doch müssen für die Beurteilung nach §§ 823, 1004 BGB die gleichen Maßstäbe herangezogen werden. Auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten muss es daher auf die Einwilligung desjenigen ankommen, den der Versender eigentlich anschreiben möchte.
Mit dieser Argumentation dürften sich im Übrigen auch Fälle des Vertippens oder Verschreibens von E-Mail-Adressen – jedenfalls bei manuellem Versand – in den Griff bekommen lassen.

Handlungsoptionen in solchen Fällen?

Insofern gibt das Urteil Entwarnung für Konstellationen, in denen die Einwilligung für eine konkrete E-Mail-Adresse durch den früheren Inhaber der E-Mail-Adresse erteilt wurde. Voraussetzung ist natürlich, dass sich nachweisen lässt, dass der frühere Inhaber der Adressetatsächlich eine Einwilligung erteilt hat.
Wichtig ist auch, dass der Sachverhalt vollständig aufgeklärt wird. Wie stets sollte schnell und professionell der Dialog mit demjenigen geführt werden, der sich beschwert. Dies gilt insbesondere wenn der Betroffene mit der Einschaltung eines Anwalts droht. Nur wenn bekannt ist, wie die Sachlage ist, lässt sich darauf adäquat reagieren. Womöglich lässt sich Frau Müller von einer Klage abbringen, wenn Ihr bewusst ist, dass die E-Mail-Adresse zu einem früheren Zeitpunkt jemand anderem gehörte.

Dr. Martin Schirmbacher ist Fachanwalt für IT-Recht in der auf Medien und Technologie spezialisierten Kanzlei HÄRTING Rechtsanwälte und Autor des Buches Online-Marketing und Recht. Seinen Blog zum Recht im Online Marketing finden Sie unter www.online-marketing-recht.de. Nähere Angaben zu seiner Person gibt es unter http://www.haerting.de/de/team/dr-martin-schirmbacher.

 

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